Wer ist nun evangelisch?
Lutherisch, Reformiert oder Uniert: Wer ist nun evangelisch?
Auch auf Insider wirkt die evangelische Kirche zuweilen etwas unübersichtlich: Was sind eigentlich die Unterschiede zwischen „Lutheranern“ und „Reformierten“? Seit wann gibt es die „Evangelische Kirche der Union“? Und wie stehen evangelische Landeskirchen zu den Freikirchen?
Die evangelische Vielgestaltigkeit lässt sich aus der Geschichte erklären. Das 1517 mit Luthers Ablassthesen begonnene Reformations-Zeitalter wurde nach jahrzehntelangem Streit im Jahr 1555 mit einem Kompromiss beendet: Der Augsburger Religionsfriede gab den Unterzeichnern des evangelischen Augsburger Bekenntnisses von 1530 Rechtssicherheit: Es solle, so der kaiserlich unterzeichnete Reichstagsbeschluss, die evangelische Konfession fortan „ruhig und friedlich belassen“ werden. Religiöse Differenzen sollten künftig versöhnlich beigelegt werden. Auch wenn die fromme Absicht immer wieder vereitelt wurde, konnten sich evangelischer Glaube und protestantische Kultur überall dort unbehelligt entfalten, wo die Obrigkeit evangelisch war. Ausgehend von den evangelischen Zentren Wittenberg und Genf entwickelten sich Grundformen, die den Protestantismus bis heute prägen: Die Wittenberger Reformation Martin Luthers bestimmte die lutherischen Landeskirchen vor allem in Nord- und Ostdeutschland. Der Züricher Impuls Ulrich Zwinglis wurde von Johannes Calvin in Genf weiterentwickelt. Er bestimmte Glauben und Leben in den reformierten Gemeinden der Schweiz, in den Niederlanden, am Niederrhein sowie – bis zur Ausweisung der Hugenotten – in Frankreich.
Viele evangelische Freikirchen haben sich aus der täuferischen Bewegung im 16. Jahrhundert entwickelt. Die evangelische Kirche der „Union“ entstand 1817, als der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten für nicht mehr zeitgemäß hielt.
„Evangelisch“ aber sind alle diese Kirchen, sofern sie sich auf das biblische Evangelium als alleinige Basis für das christliche Leben gründen: Dass keine menschliche Autorität für den Glauben maßgebend sein kann als allein die Bibel, ist das grundlegende evangelische Prinzip: Weil die Bibel bunt und vielstimmig ist, dürfen auch in den evangelischen Kirchen die Akzente unterschiedlich gesetzt werden. Auch dies ist Teil der lebendigen evangelischen Freiheit, die sich immer neu auf ihre Mitte bezieht und an ihr ausrichtet: Auf die befreiende Botschaft von Jesus Christus, die in vielen kirchlichen Lebensformen ihre Gestalt findet.
Uwe Rieske